8 Uhr an einem Frühlingsmorgen. Alexander Kuscher wirkt entspannt. Das Licht scheint milde in sein Apartment in San Francisco, und der Chrome-OS-Produktmanager brüht sich gerade seinen zweiten Kaffee.
Normalerweise ist er um diese Zeit mit dem Bus ins Google-Hauptquartier in Mountain View unterwegs. Zwischen zwanzig Minuten und einer Stunde benötigt er für die Strecke – je nachdem, wie früh er sich in Bewegung setzt. Doch auch in Kalifornien ist während der Pandemie alles anders. „Wir dürfen zwar manchmal in den Googleplex kommen, aber die Vorsichtsmaßnahmen inklusive Infektionstests und regelmäßigem Fiebermessen sind schon heftig“, erzählt er.*
Da arbeitet er aktuell lieber von zu Haus aus: „Home, sweet Home(office)“, heißt es also auch bei Google. Gut für uns, denn wir trafen einen auskunftsfreudigen Chromebook-Experten via Google Meet an, der uns auf eine Reise durch die Geschichte und die Gegenwart von Chrome OS mitnahm und die Entwicklung der Plattform in Deutschland mit ganz persönlichen Anmerkungen versah.
… arbeitet seit 2010 im Google-Hauptquartier in Mountain View, Kalifornien, nachdem er an der Universität Cambridge und am HPI studiert hat. Nach seinem Einstieg als Produktmanager im Bereich Mobile Ads wechselte er bald zum Chrome-OS-Team und zeichnete hier unter anderem in der UX-Gestaltung für das Nutzungserlebnis verantwortlich. Seit zweieinhalb Jahren ist er bei Google für das Produktmanagement von Chrome OS zuständig.
Privat engagiert sich der Magdeburger in verschiedenen Ehrenämtern in seiner Wahlheimat San Francisco, darunter zum Beispiel die „SF-Marin Food-Bank“.
on.chrome | Alex, danke, dass du dir Zeit genommen hast in deinem bestimmt engen Terminkalender – denn arbeiten tust du doch zurzeit sicher eine ganze Menge, oder?
Alexander Kuscher | Die Tage können derzeit recht lang geraten, tatsächlich. Denn auch ich arbeite zurzeit im Homeoffice, statt in mein Büro zu pendeln – und weniger Zeit zum Pendeln bedeutet meist mehr Zeit zum Arbeiten.
Aber das ist eine gute Sache. Denn viele Menschen arbeiten derzeit von zu Hause aus oder lernen daheim – nicht selten mit dem Chromebook. Und deshalb entsteht mehr Arbeit für uns.
Erkläre uns bitte kurz in deinen eigenen Worten, wie dein Job bei Google und in der Entwicklung von Chrome OS aussieht.
Ich bin verantwortlich für das Software-Product-Team von Chrome OS. Ich leite also Mitarbeiter:innen in den Bereichen des Produkt- und Programmmanagements sowie der Entwicklerbeziehungen.
Ich fasse meine Arbeit gern so zusammen: Viele Hundert Menschen arbeiten bei oder für uns am Chromebook – und mein Team und ich sorgen dafür, dass daraus ein großes Ganzes wird.
»Viele Hundert Menschen arbeiten bei oder für uns am Chromebook – und mein Team und ich sorgen dafür, dass daraus ein großes Ganzes wird.«
Von Sachsen-Anhalt ins Silicon Valley
Du bist in Magdeburg groß geworden. Wie kommt man von Magdeburg nach Mountain View, Kalifornien?
Das frage ich mich auch oft (lacht). Das Silicon Valley war nie wirklich mein Ziel. Mir schwebte eher eine Karriere in der Forschung und Lehre vor.
Als ich in England studierte, trat Google in Kontakt mit mir. Ich wollte damals Softwareingenieur werden, aber Google schlug mir einen Posten im Produktmanagement in der Zentrale in Mountain View vor. Ich dachte mir also, dass ein oder zwei Jahre im Valley vielleicht doch eine ganz nette Idee wären. Daraus wurden bis heute zehn – nichts im Leben lässt sich planen.
In Magdeburg selbst hast du für das Fraunhofer Institut gearbeitet. Was war dort deine Aufgabe?
Nach der Schule wollte ich sehen, wie es in der Forschung und Industrie zugeht. Das Fraunhofer Institut hat damals unter anderem an Fabrikautomation gearbeitet, was ich super spannend fand. Ich habe virtuelle Welten gebaut, in denen Arbeitskräfte bestimmte Arbeitsschritte studieren konnten – etwa Techniker das Reparieren von Flugzeugtriebwerken.
Du bist seit über zehn Jahren bei Google – und auch Chrome OS ist im vergangenen Jahr zehn Jahre „alt“ geworden. Du warst also praktisch von Anfang an dabei.
Ich habe bei Google im Mobile-Advertising-Bereich begonnen, bin dann aber zum Chrome-OS-Team gewechselt. Wir waren anfangs nur ein paar Dutzend Leute, sind aber ziemlich schnell gewachsen.
Wie war damals die Dynamik im Team?
Das war eine ziemlich wilde Zeit. Es passiert schließlich nicht allzu oft, dass man an der Entstehung eines komplett neuen Betriebssystems teilhaben darf. Wir hatten uns von Anfang an vorgenommen, alles bisher Dagewesene zu hinterfragen. Insofern herrschte eine echte Aufbruchstimmung.
Viele hatten an dieser Stimmung teil. Sergey Brin (einer der Google-Gründer, Red.) etwa wies uns damals noch regelmäßig selbst auf Fehler im Code hin. Man sollte stets aufpassen, wer einem über die Schulter schaut (lacht).
Warum bestand überhaupt Bedarf an einem neuen Betriebssystem? Es gab ja bereits einige gute.
Bei der Softwareentwicklung von Google, etwa am Chrome-Browser, bemerkten wir immer häufiger, dass wir es mit Problemen zu tun bekamen, die eigentlich auf der Ebene des Betriebssystems ihren Ursprung haben. Also kam irgendwann die Idee auf, etwas Eigenes zu bauen.
Seit der letzten großen Entwicklung in diesem Bereich war ja bereits mindestens ein Jahrzehnt vergangen. In der Zwischenzeit hatten sich aber eine Menge Dinge verändert; zum Beispiel gehörte das Internet längst zum Alltag.
Aber auch technisch hatte sich einiges getan – trotzdem schauten die damaligen Systeme etwa immer noch beim Starten, ob sie ein Diskettenlaufwerk im Rechner finden konnten. Aber niemand hatte diese Dinge in der Zwischenzeit infrage gestellt.
»Wir stellten uns die Frage: Was wäre, wenn wir im Zeitalter des Internets und der mobilen Apps ein Betriebssystem bauen würden?«
Wir stellten uns also die Frage: Was wäre, wenn wir im Zeitalter des Internets und der mobilen Apps ein Betriebssystem bauen würden? Was würden wir anders machen?
Wegschmeißen und neu machen war also das Motto?
Ja, irgendwie schon. Und davon im aktuellen Kontext neu lernen. Die Welt entwickelt sich schließlich weiter. Und wenn man neu anfängt, kann man eben viele Entscheidungen neu treffen.




Gemeinsame Ideen am Mittagstisch
Wie entstehen Ideen eigentlich bei Google? Geht da jemand mit seiner Vorstellung eines neuen Computers zur Chefin oder zum Chef und fragt nach Geld oder entsteht die Idee im Team? Oder kommen die Ideen „von oben“ mit der nachfolgenden Bildung eines Teams?
Alle diese Wege sind möglich. Natürlich gibt es notwendige Projekte und Produkte, die die Firma „von oben“ selbst anstößt – nur so können mehrere Teile des Unternehmens in dieselbe Richtung gehen.
Aber bei Google gibt es auch immer wieder viele, viele Projekte, die von den Mitarbeiter:innen selbst kommen und nicht selten während der Kaffeepause oder beim Lunch entstehen. Gmail ist ein gutes Beispiel. Niemand in der Geschäftsleitung hatte damals die Anweisung gegeben, einen E-Mail-Client zu bauen. Vielmehr haben sich ein paar Entwickler:innen unterhalten und gemeint, dass sie etwas Besseres als das Bestehende schaffen könnten.
Und wie lief das bei Chrome OS?
Sehr ähnlich. Entwickler:innen aus den Chrome- und Google-Toolbar-Teams beschlossen irgendwann, ein besseres, zeitgemäßeres Betriebssystem zu entwickeln. Und so fingen sie einfach an, daran zu arbeiten.
»Entwickler:innen aus den Chrome- und Google-Toolbar-Teams beschlossen irgendwann, ein besseres, zeitgemäßeres Betriebssystem zu entwickeln. Und so fingen sie einfach an, daran zu arbeiten.«
Kann man das neben dem eigentlichen, sicher nicht anspruchslosen Job bei Google noch schaffen?
Bei Google haben Mitarbeiter:innen die Möglichkeit, zwanzig Prozent ihrer Arbeitszeit an eigenen Projekten zu arbeiten. Und es fanden sich überraschenderweise genügend Leute, die sich für ein neues Betriebssystem begeistern konnten und ihre offene Zeit darin investierten.
Irgendwann hatten wir dann die erste Demo fertig, die wir präsentieren konnten. Von da an ging es immer weiter. Denn darin ist Google ziemlich gut: Dinge eine Zeit lang laufen zu lassen, um zu schauen, wohin sie führen.
»Darin ist Google ziemlich gut: Dinge eine Zeit lang laufen zu lassen, um zu schauen, wohin sie führen.«
Wann kam der Aspekt einer eigenen Hardwareplattform ins Spiel?
Wir merkten recht schnell, dass es mit einem reinen Betriebssystem nicht getan war – wir mussten noch etwas tiefer gehen. Denn viele der bei der Entwicklung entstehenden Fragen lassen sich letztlich nur auf der Ebene der Hardware lösen. Dies war eine logische Schlussfolgerung unserer Ziele.
Gib uns ein Beispiel!
Eines unserer Ziele war es, von Anfang an ein maximal sicheres System zu bauen. Doch Sicherheit nur auf der Softwareebene zu realisieren, ist letztlich nicht möglich. Daher enthält jedes Chromebook einen Google-Sicherheitschip. Wir mussten also recht früh über eigene Hardware nachdenken.
Aber auch im Bereich der Benutzerschnittstelle gab es Dinge aufzuräumen. Jeder existierende PC-Laptop hatte eine andere Tastatur, wir wollten aber etwas Einheitliches. Trackpads waren für unsere Ansprüche damals ebenfalls extrem schlecht. Wir begriffen also schnell, dass wir uns um Software und Hardware kümmern mussten.
Wäre dann nicht eine Lösung wie bei Apple logisch gewesen? Also das eine Chromebook Marke Google zu entwickeln, um dieses dann selbst anzubieten?
Wir wollten die Entwicklung nicht zu sehr limitieren. „Ein Chromebook für alle“ stand also nie zur Debatte. Das hätte auch nicht zu unserem Ansatz gepasst, das hätte nicht zu Google gepasst.
Wir wollten vielmehr eine Art Referenz erarbeiten und die wichtigsten Teile vorgeben, aber gleichzeitig mit anderen Herstellern zusammenarbeiten.

Das erste Chromebook war dann aber doch ein eigenes.
Stimmt: das größte „Give-away“ der Computergeschichte, das Cr-48 (lacht). Es ist tatsächlich nach wie vor eines meiner Lieblings-Chromebooks: Es verfügt über keinerlei Branding und ist aus recht skurrilem Plastik gebaut.
Aber ziemlich schnell rückten dann die ersten OEM-Geräte nach, die den jeweiligen Hersteller widerspiegelten. Trotzdem sind sie durch bestimmte Vorgaben verknüpft, um ein konsistentes Benutzerungserlebnis zu schaffen – so etwa den Sicherheitschip.
Geschwindigkeit, Einfachheit, Sicherheit
Wie würdest du selbst die damalige Grundidee hinter dem Chromebook beschreiben?
„Speed, Simplicity, Security“ ist eine Art Grundmantra für uns. Das war von Anfang an so.
Wir wussten, dass viele Menschen mit unserer Technologie arbeiten würden. Wir wollten also etwas entwickeln, das die Leute mitnimmt, das ihnen die Benutzung einfach macht. Es sollte schließlich nicht so sein, dass der Mensch für die Technik da ist; vielmehr ist die Technologie für den Menschen da.
Wie definierst du Einfachheit in diesem Zusammenhang?
Einfachheit bedeutet nicht, weniger tun zu können. Sondern komplexe Sachen einfach zu gestalten. Nutzer:innen sollten also komplexe Dinge tun können, aber es sollte ihnen nicht schwerfallen.
All diese Gedanken kommen aus der Fragestellung, wer die Nutzer:innen sind und wie wir das Richtige für sie bauen können.
»Einfachheit bedeutet nicht, weniger tun zu können. Sondern komplexe Sachen einfach zu gestalten.«
Erkennst du all diese Ansätze nach über zehn Jahren Chrome OS immer noch?
Ich glaube, diese Voraussetzungen wurden mit der Zeit sogar immer wichtiger. Das Thema der Sicherheit etwa hat heute deutlich mehr Gewicht als am Anfang der Chrome-OS-Entwicklung. Und idealerweise sollten Nutzer:innen niemals über die Sicherheit ihres Systems oder Geräts nachdenken müssen. Diesen Job erledigen wir für sie.
In gewissem Sinne waren wir damals unserer Zeit durchaus etwas voraus: Das virtuelle Arbeiten ist zum Beispiel immer präsenter geworden.
Habt ihr am Anfang auch Dinge unterschätzt?
Na klar! Ein gutes Beispiel ist das Drucken und Scannen. Wir dachten, dass beides in Zukunft nicht mehr so wichtig sein würde. Wer würde denn in zehn Jahren ab damals noch Papier nutzen wollen? Wir lagen also völlig falsch. Aber aus so etwas haben wir gelernt.
»Nutzer:innen sollten niemals über die Sicherheit ihres Systems nachdenken müssen. Diesen Job erledigen wir für sie.«
Du warst lange speziell für das UX-Design, also das tatsächliche Nutzungserlebnis von Chrome OS zuständig. Was macht für dich ein positives Nutzungserlebnis aus?
Zwei Dinge liegen mir besonders am Herzen. Erstens möchte ich komplexe Aufgaben schnell umsetzen können. Das hat auch etwas mit Respekt der Technologie gegenüber dem Menschen zu tun. Denn jeder hat täglich nur eine gewisse Menge an Zeit zur Verfügung, die er nicht damit verbringen sollte, darüber nachzudenken, wie er Dinge erledigen kann. Bei der Entwicklung einer Benutzeroberfläche stelle ich mir also immer die Frage, wie jemand die gleichen Aufgaben in weniger Schritten fertigstellen kann.
Der zweite wichtige Ansatz ist, Menschen produktiver zu machen. Darauf haben wir besonders im vergangenen Jahr den Fokus gelegt. Denn mit einem Betriebssystem bauen wir letztlich das Werkzeug für die Nutzer:innen. Das möchte ich mehr machen!
Gibt es Momente oder konkrete Meilensteine, bei denen du das Gefühl hattest und hast, dass ihr eure Vorstellung erreicht habt?
Wir machen viele Umfragen unter Nutzer:innen, laden sie ein und schauen vor Ort, wie sie unsere Geräte anwenden. Zum Beispiel gehen wir zu Schulen. Ich habe dabei zum ersten Mal gesehen, wie die Schüler:innen ihre Chromebooks im Unterricht einsetzen.
Meine eigene Vorstellung drehte sich damals noch um die klassischen Computerräume; aber diese Schüler:innen saßen im Kreis, hatten ihre Chromebooks geöffnet, nutzten Wikipedia, unterhielten sich. Sie gingen ganz anders, viel natürlicher mit der Technik um. Dabei merkte ich: Was ich tue, macht tatsächlich einen Unterschied.
Mittlerweile verantwortest du das komplette Produktmanagement von Chrome OS. Wie groß ist das Team?
Unser Team aus Produkt- und Programmmanager:innen umfasst ungefähr sechzig Leute. Gleichzeitig arbeiten wir mit knapp 500 Softwareingenieur:innen zusammen. Hinzu kommen Mitarbeiter:innen aus dem Hardwarebereich. Es sind also viele Menschen am Chromebook beteiligt.
Schreibst du noch selbst Code für Chrome OS?
Ich sehe noch Code für Chrome OS – schreiben erlaubt man mir nicht mehr (lacht). Bei Google macht man sich allerdings gern „die Hände noch dreckig“. Ich lese etwa Fehler- und Feedback-Berichte, die die Menschen uns schicken. Denn ich halte es für wichtig, am Puls der Nutzer:innen zu bleiben. Sonst verliert man schnell die Empathie.
Auf dem Weg zum Super-OS?
Zur „reinen“ Idee des Cloud-Computings kam die Ausführung von Android-Apps und die Möglichkeit, Linux-Programme für die Entwicklung zu nutzen. Läuft man da nicht irgendwann Gefahr, den Grundgedanken zu verlieren und ein weiteres, aufgeblähtes Betriebssystem managen zu müssen?
Wir möchten die wachsende Komplexität für Nutzer:innen möglichst unsichtbar gestalten. Ein gutes Beispiel sind etwa Android- und Web-Apps. Den Anwender:innen ist es relativ egal, wie eine App entwickelt wurde, sie möchten sie einfach nur benutzen. Sie muss also leicht zu finden, zu installieren und anzuwenden sein. Sie gehen in den Play Store, suchen etwa nach Google Maps und installieren es. Ob es sich dabei um die Android- oder die Web-App handelt, ist relativ egal, solange sie tut, was Nutzer:innen von ihr verlangen.
Es ist somit unsere Aufgabe, die Dinge so einfach wie möglich zu gestalten – obwohl sie im Hintergrund komplex sind. Wir investieren viel Zeit darin, dass alles wie aus einem Guss wirkt.
»Es ist unsere Aufgabe, die Dinge so einfach wie möglich zu gestalten.«
Mit „Parallels Desktop für Chrome OS“ ist nunmehr sogar die Nutzung von Windows möglich.
Chromebooks agieren heute in vielen Märkten, die sich nicht unbedingt überschneiden. Hier ist Parallels ein gutes Beispiel. Es gibt Unternehmen die Möglichkeit, ihre vorhandene Windows-Software weiter zu nutzen – aber eben nur auf Wunsch. Normalerweise kommt das Chromebook aber ohne diesen „Ballast“ daher.
Ebenso ist es mit Linux: Damit richten wir uns in erster Linie an Entwickler:innen, nicht an die „normalen“ Anwender:innen.
Dieser Ansatz erlaubt es uns, flexibel auf verschiedene Nutzer:innen-Gruppen einzugehen. Es ist uns wichtig, dass Menschen, für die diese Sonderanwendungen nicht wesentlich sind, nicht „aus Versehen“ trotzdem in sie hineinstolpern. Wir wollen diese Ebenen vielmehr ganz bewusst segmentieren, sodass am Ende alle Nutzer:innen das für sie richtige Ergebnis erzielen.
Dies birgt aber immer noch Herausforderungen. Viele Android-Apps fühlen sich auf dem Chromebook immer noch nicht „richtig“ an.
Daran mussten wir in den vergangenen Jahren viel arbeiten, das ist vollkommen richtig. Und es ist nach wie vor unsere Aufgabe, Entwickler:innen aufzuzeigen, was sie mit ihren Apps am Chromebook machen können und wo die Vorteile für sie liegen.
Das Ganze ist ein Langzeitprojekt. Angefangen hat es mit der Idee, etwa von Android bekannte Messenger-Apps auch auf dem Chromebook zu verwenden. Dies hat viel Funktionalität gebracht. Jetzt sind wir hingegen in der Phase, in der wir diese Umsetzungen „polieren“. Und die dauert noch an.
Eine wichtige Aufgabe für uns ist es nicht zuletzt, die Nutzer:innen im Play Store zu den Anwendungen zu leiten, die bereits für das Chromebook optimiert sind. Derzeit herrscht hier aus Anwender:innen-Sicht vielfach noch etwas Unsicherheit.
»Eine wichtige Aufgabe für uns ist es, Nutzer:innen im Play Store zu den Anwendungen zu leiten, die für das Chromebook optimiert sind.«
Google pusht die Implementation von Progressive-Web-Apps in das System – etwa mit dem Angebot von deren Installation statt der Android-App direkt aus dem Play Store. Wie siehst du die Wertigkeit von PWAs für Chrome OS – und wie deren Zukunft?
Die PWA-Unterstützung ist ohne Frage ein wichtiger Teil unserer weiteren Entwicklung. Die aktuelle PWA-Generation ist bereits relativ erwachsen.
Wir tauschen uns bei der Implementation viel mit den Entwickler:innen aus. Zum Beispiel im Gespräch mit Twitter stellte sich die Frage, welche Version ihres Clients sie auf dem Chromebook gern sehen würden – die Web-App oder die Android-App. Twitters Wahl fiel auf die PWA. Andere Hersteller bevorzugen hingegen die Android-Versionen ihrer Apps, weil diese für den Tablet-Modus optimiert sind.
Das Chromebook in Deutschland
Alex, lass uns gern noch über die Situation von Chromebooks in Deutschland sprechen. Der durchschlagende Erfolg hat wesentlich länger als etwa in den USA gedauert. Wo siehst du die Gründe dafür
Mir persönlich lag es immer am Herzen, dass Chromebooks auch in Deutschland groß rauskommen, wie du dir sicher vorstellen kannst. Aber natürlich ist die Situation in jedem Land anders.
In den USA sind wir schon weitaus länger dabei; schließlich war der US-amerikanische der erste Markt, in dem wir begonnen haben, das Chromebook anzubieten. In Deutschland haben wir jedoch erst 2019 ernsthaft damit begonnen.
»In Deutschland haben wir erst 2019 ernsthaft damit begonnen, das Chromebook anzubieten.«
Zum Beispiel haben wir ein riesiges lokales Team in München aufgebaut. Hier sitzen nicht nur Entwickler:innen, sondern auch unsere Datenschutzexpert:innen. Dies alles soll helfen, Chrome OS ein bisschen „deutscher“ zu gestalten.

Gleichzeitig haben wir damit 2019 begonnen, uns mit dem Einzelhandel auszutauschen. Denn die Menschen gehen hierzulande nach wie vor in die Shops, um sich die Technik anzuschauen und sie anzufassen.
Dabei lernten wir die Eigenheiten des deutschen Markts kennen. Hier sind etwa größere Bildschirme wichtig. Die Leute lesen nach wie vor Testberichte und Spezifikationsbeschreibungen. Dies alles ist in Deutschland wesentlich wichtiger als etwa in den USA.
Insofern sind wir in Deutschland nicht seit zehn, sondern erst seit zwei Jahren wirklich engagiert, das Chromebook zu verbreiten. Und gemessen daran ist der Erfolg ziemlich gut.
„Ziemlich gut“ ist eine sanfte Untertreibung: Das Absatzwachstum in Deutschland für das Chromebook betrug allein 2020 über 450 Prozent. Das muss sich doch für dich super anfühlen, oder?
Chrome OS ist das am schnellsten wachsende Betriebssystem in Deutschland – na klar finde ich das super.
Warum haben es eigentlich etwa das Chromebook Pixel und das Pixelbook nie nach Deutschland geschafft?
Es ist immer eine Frage, wie man einen Markt aufbaut – in der Regel beginnt man genau in der Mitte. Im Fall des Chromebooks heißt dies, dass man Geräte veröffentlicht, die mit ihrem Preispunkt den größtmöglichen Kreis an Nutzer:innen anspricht. Von da aus erweitert sich der Markt – vor allem in Richtung Premium-Hardware.
Geräte wie das Pixelbook kommen stets etwas später – nämlich dann, wenn der Appetit auf diese Premiumgeräte wächst. Erst jetzt können wir also höherpreisige Modelle in Deutschland andenken.
Sollte Google bald ein neues Pixelbook vorstellen, können wir uns also im nunmehr entwickelten deutschen Markt Hoffnung darauf machen?
Zumindest ich würde stark dafür argumentieren – mehr kann ich nicht verraten oder versprechen.
Wenn du aus dem Silicon Valley auf die allgemeine IT-Entwicklung in Deutschland schaust, was denkst du da? Schnelles mobiles Internet gibt es hierzulande etwa immer noch nicht flächendeckend.
Zunächst einmal: Auch im Silicon Valley ist nicht immer alles optimal. Ich war zum Beispiel vor Jahren in Nairobi, und dort hatte ich ein bedeutend schnelleres mobiles Internet als in San Francisco. Es gab vorher in Kenia eben kein vergleichbares Festnetz, sodass man sofort mobil durchstartete.
Innovation entsteht in der Regel also aus bestimmten Zwängen. An diesen Punkt kommt man wahrscheinlich aktuell aufgrund der aktuellen Situation in Deutschland, nachdem man den Breitbandausbau etwa in ländlichen Gegenden lange stark vernachlässigt hat. Man kann die Umstände nun nutzen, um einige Dinge zu beschleunigen.
Deutschland hat aber alle Voraussetzungen; es ist nur die Frage, ob man die erforderlichen Innovationen schnell und unbürokratisch umsetzen kann und will.
Alex, vielen Dank für deine Zeit.
*Das Interview führten wir im April 2021.
Fotos: Google, Poettinger Immobiliengruppe