Wir sprachen mit dem zuständigen Schulpflegepräsidenten Daniel Schwegler.

on.chrome | Herr Schwegler, in Deutschland hat sich bis zur Schließung der Schulen aufgrund der Corona-Pandemie in Sachen Digitalisierung des Unterrichts eigentlich nicht allzu viel getan. Nun will man offenbar alles im Hauruck-Verfahren nachholen. Wie sieht es in der Schweiz aus?
Daniel Schwegler | Die Schweiz ist sehr föderalistisch aufgebaut und hat eine heterogene Tiefe bei der Digitalisierung. Die Stadt Genf hat klare Vorgaben erstellt. Andere Kantone überlassen dies komplett den Gemeinden. Die Gemeinden bezahlen auch die Schulmittel, und hier gibt es große Unterschiede in den finanziellen Möglichkeiten – deshalb sieht man Abweichungen in der Anzahl der Geräte pro Schüler:innen.

Daniel Schwegler …

… … kümmert sich als Schulpflegepräsident um die Digitalisierung der Schule Kallern. Der Diplom-Informatiker und Datenbankspezialist ist zudem Mitglied im Gemeinderat von Kallern.

Ich vermute, dass wir uns aufgrund der Finanzkraft der Schweiz sicherlich im vorderen Mittelfeld innerhalb Europas befinden, was die Digitalisierung der Schulen angeht. Natürlich hat es da und dort ebenfalls Hauruck-Übungen gegeben. Aber ich glaube nicht, dass man im großen Stil neue Hardware beschafft hat – dafür haben schlicht die Zeit und die Budgets gefehlt. Die Aufwände sind vielmehr bei der Aufschaltung der Software entstanden.

In Deutschland fehlt es auch an Ausbildung und Personal: Für die Digitalisierung und Weiterbildung sind meist Lehrer:innen in ihrer sowieso schon knappen Freizeit selbst verantwortlich – da kommt Frust auf. Ist das in der Schweiz ähnlich?
Generell herrscht in der Schweiz ein Mangel an Lehrer:innen. Und es besteht Nachholbedarf in der digitalen Weiterbildung. Die Schweiz hat sich aber dahingehend etwas verbessert, indem durch das Projekt „Lehrplan 21“  derzeit 21 Kantone ihren Lehrplan vereinheitlichen und das Fach „Medien und Informatik“ einführen. Einhergehend mit der Umsetzung gibt es entsprechende Kurse für die Lehrpersonen – und somit geht es einen Schritt in die richtige Richtung.

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Der Lehrplan 21 …
… ist ein Projekt der Deutschschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz, das mit einem gemeinsamen Lehrplan die Ziele der Volksschule in den 21 Kantonen der Deutschschweiz zu harmonisieren und zu vereinheitlichen sucht. Als bindendes Modul gehört die Einführung des Schulfachs „Medien und Informatik“ in den Lehrplan dazu.

Frust entsteht insbesondere dort, wo die Lehrpersonen sich mit Technikproblemen anstatt Inhalten auseinandersetzen müssen und auf wenig Support zurückgreifen können. Die Pandemie hat schonungslos aufgezeigt, welche Lehrpersonen sich bisher eher vor der Digitalisierung gedrückt haben.

Raus aus dem Computerraum!

Computer an den Schulen – da denken viele noch an muffige Informatikräume mit veralteten Rechnern. Muss das nicht heutzutage anders gehen?
Informatikräume halte ich heutzutage für nicht mehr zweckmäßig. Man muss jederzeit und einfach auf Geräte zugreifen können.

»Digitalisierung ist kein Allheilmittel; guten Unterricht erzielen wir allein damit nicht!«

Ab wann und ob jede:r Schüler:in sein eigenes Gerät haben muss, darf man allerdings kontrovers diskutieren. Die Digitalisierung ist kein Allheilmittel; guten Unterricht erzielen wir allein damit nicht!

Kallern hat mit knapp 40 Schüler:innen eine kleine Bildungseinrichtung – was der Flexibilität bei der Auswahl von Geräten und Systemen sicher nicht abträglich war.
Eine kleine Schule hat im Grunde dieselben Problemstellungen zu lösen wie große, nur dass wir noch mehr auf die Kosten schauen müssen. Uns war es daher wichtig, den Supportaufwand auf ein Minimum zu reduzieren. Wir können es uns nicht leisten, irgendetwas extern erstellen zu lassen oder Serverumgebungen zu pflegen.

»Wir können es uns nicht leisten, irgendetwas extern erstellen zu lassen oder Serverumgebungen zu pflegen.«

Genau deshalb wollten wir Geräte, welche sich zentral managen und einfach aktualisieren lassen. Im Garantiefall zeigt sich die Stärke der Lösung des Chromebooks: einfach Ersatzgeräte ins WLAN aufnehmen, registrieren – und weiter gehts.

Warum gerade das Chromebook?

Wie sind Sie bei der Auswahl des Computersystems und der Lernsoftware vorgegangen, was war Ihnen wichtig?
Wir sind aus einer klassischen Umgebung mit verschiedenen Microsoft-basierten Laptops und einigen iPads gestartet. Insbesondere der steigende Aufwand bei den Windows-Laptops hat uns bewogen, das Thema neu zu betrachten.

Danach habe ich als Fachverantwortlicher der Schulpflege angefangen zu schauen, wie andere Schulen aufgestellt sind und bin dabei über Artikel und Videos der Schule Konolfingen gestolpert. Mich daran anlehnend, habe ich ein entsprechendes Konzept erstellt und mir ein Testgerät besorgt und dieses mit einer Lehrperson einen Monat lang getestet.

Dann habe ich ein entsprechendes Konzept erstellt und mir ein Testgerät eines Chromebooks besorgt und dieses zusammen mit einer Lehrperson einen Monat genutzt. Die Apple- und Microsoft-Welt kannte ich ja schon aus meinem beruflichen und privaten Umfeld als Diplom-Informatiker und Datenbankspezialist.

Zu dem Zeitpunkt war für mich die Windows-S-Lösung von Microsoft noch zu stark eingeschränkt und nicht so gut zentral zu managen wie das Chromebook. Deshalb – und aufgrund der preiswerten Geräte – ist der Entscheid auf Google gefallen, obwohl wir damit in der Schweiz eine Minderheit sind.

Was spricht aus Ihrer Sicht für Chromebooks im Unterricht?
Die Einfachheit sowie – je nach Gerätetyp – die Robustheit und der Preis.

Ich war zunächst skeptisch ob der teils vergleichsweise schwachen technischen Eckdaten. Als ich das Chromebook jedoch selbst ausprobierte, merkte ich, wie wenig Ressourcen es benötigt. Und ich habe mich gefragt, wieso ich Grundschulkindern einen hochauflösenden, sehr teuren Bildschirm hinstellen soll, wenn doch auch ihre Schulbücher mit großen Schriftarten altersgerecht daherkommen.

»Wieso soll ich Grundschulkindern einen hochauflösenden, sehr teuren Bildschirm hinstellen, wenn doch auch ihre Schulbücher mit großen Schriftarten altersgerecht daherkommen?«

Haben alle Schüler:innen einen eigenen Rechner?
Wir haben im Moment ein Gerät pro zwei Kinder. Aber im Unterricht organisieren sich die Lehrpersonen so, dass faktisch immer ein Kind ein Gerät im Einsatz hat.  

Darf auch das „Bring Your Own Device“-Prinzip gelten?
Nein, ich erachte BYOD erst ab der Oberstufe, also der siebten Klasse, als sinnvoll.

Wobei ich mir so meine Gedanken mache, ob daraus bei den Eltern und den Kids nicht ein neuerlicher sozialer Druck analog den Markenklamotten erwächst – nach dem Motto: Wer hat das neueste und teuerste Gerät?

Weitere Probleme des BYOD-Prinzips entstehen durch die Einbindung in eine bestehende IT-Umgebung – also etwa die Verbindung zu Druckern und WLANs. Was ist, wenn ein Gerät keine aktuellen Ressourcen mitbringt?

Google und der Datenschutz

In Deutschland sind viele Verantwortliche skeptisch, wenn sie vom Einsatz von Google-Software und -Cloudlösungen an Schulen hören – die Datensicherheit sei bei einem US-amerikanischen Unternehmen nicht gewährleistet. Wie gehen Sie diese Herausforderung an? Und gibt es Bedenken seitens der Eltern?
Wir nehmen diese Bedenken ernst – schließlich ist es auch unser Anspruch, dem Datenschutz Rechnung zu tragen. Wir konnten hier die kritischen Voten aber gleich zu Beginn mit einer guten Kommunikation und einem überzeugenden Datenschutzkonzept glätten.

»Wir nehmen die Bedenken der Eltern ernst – schließlich ist es auch unser Anspruch, dem Datenschutz Rechnung zu tragen.«

Interessant wird es ja dann, wenn man Eltern aufzeigt, wie sie teils selbst fahrlässig mit Informationen, etwa in sozialen Medien umgehen, oder unbewusst Cloudlösungen bereits einsetzen – bei Handy-Back-ups, Whatsapp-Nachrichten oder auf Facebook.

Was umfasst dieses Datenschutzkonzept?
Wir unterscheiden zwischen sensitiven Daten, wie Schülerbeurteilungen, Noten, Abwesenheiten, welche bei uns in einer Schweizer Cloudlösung namens „Lehreroffice“ abgelegt sind. Diese Software ist in der Schweiz weit verbreitet, und viele Lehrpersonen sind schon mal damit in Berührung gekommen.

Für den Einsatz im Rahmen des normalen Unterrichts haben wir mit „Google Workspace for Education Plus“ seit April 2020 ähnliche Datenschutzrechte, wie sie Microsoft in der Schweiz seit Jahren anbietet: Wir nutzen ein Rechenzentrum mit dem Standort in Irland und haben damit auch den Gerichtsstand in Bern in der Schweiz.

Zusätzlich nutzen wir für die Kommunikation mit den Eltern eine in der Schweiz gehostete Lösung namens „Klapp“. So können wir den Whatsapp-Chats recht gut Paroli bieten.

»Die Kinder haben große Freude daran, mit dem Chromebook zu arbeiten.«

Wie kommen das Chromebook und Google Workspace for Education bei den Schüler:innen an?
Die Kinder haben große Freude daran, mit den Geräten zu arbeiten. Die hauptsächlich genutzten Programme sind sehr benutzerfreundlich und meist selbsterklärend. Generell haben die Kinder keine Berührungsängste; sie sind froh, dass die Geräte schnell starten und sich alles kinderleicht handhaben lässt. Dass mittlerweile auch die Bearbeitung von Microsoft-Office-Dokumenten ohne Probleme funktioniert, hilft natürlich zusätzlich.

Unterricht in Corona-Zeiten

Wie hilft das System, die immer wieder auftretenden Herausforderungen der Corona-Pandemie zu bewältigen? Auch in der Schweiz gab es ja lange keinen Präsenzunterricht.
Wir haben Eltern, die selbst über zu wenige Geräte zu Hause verfügen, während des Lockdowns Chromebooks von der Schule mitgegeben. Während dieser Zeit haben wir aber nicht komplett auf digitales Lernen umgestellt, sondern mit Aufträgen gearbeitet, welche wir einmal wöchentlich verteilt und wieder eingesammelt haben.

»Wir haben Eltern, die selbst über zu wenige Geräte zu Hause verfügen, während des Lockdowns Chromebooks von der Schule mitgegeben.«

Natürlich gab es auch Videozeiten für den persönlichen Austausch. Hier kam wahlweise Whatsapp oder Google Meet zum Einsatz.  Wir haben den Eltern und Kids bewusst nicht allzu viele Veränderungen zumuten wollen und sind damit sehr gut gefahren; das Feedback war durchweg positiv.

Von anderen Schulen hörte man Unterschiedliches; insbesondere war das Ausdrucken von Dokumenten immer mit Problemen belastet. Aufgrund des Umstandes, dass der Schulbesuch in der Schweiz kostenfrei sein muss, darf man hier nicht die Aufwände an die Eltern verschieben.

In den USA ist der sogenannte „Education-Markt“ seit Jahrzehnten milliardenschwer und enorm wichtig für die Hersteller – ein Vorbild auch für Europa?
Sagen wir es mal so: Es ist wie überall – die Firmen wollen ihre Kund:innen möglichst früh an ihre Software gewöhnen. Wenn dabei ein Wettbewerb entsteht, kann man dies nur gutheißen.

In der Schweiz hat Google es leider lange verschlafen, den vorhanden Markt zu bearbeiten und viel Terrain an Microsoft und Apple verloren. Das ist schade, wenn man bedenkt, wie mächtig Googles Workspace-for-Education-Lösung ist und wie gut sie sich für die Kollaboration eignet.

Letzte Frage: Arbeiten Sie auch privat mit einem Chromebook?
Ich arbeite zu Hause oft mit einem Chromebook – wenn es gerade nicht eines meiner Kinder in Beschlag genommen hat.


Fotos: privat, Google

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